Sinnorientierte Führung

Haben Sie sich schon einmal überlegt, warum Sie für Ihre Firma arbeiten, weshalb Sie Menschen führen? Geht es Ihnen darum, etwas zu bewegen und Ergebnisse zu erzielen, Menschen zu fördern oder sich selbst zu entwickeln? Oder geht es Ihnen darum, Karriere zu machen oder einen gewissen Status zu erreichen? Geht es Ihnen um Macht? Oder um Prestige? Oder um etwas anderes? Was bedeutet für Sie Sinn und Sinnhaftigkeit im Leben? Wofür stehen Sie jeden Morgen auf?

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Die Frage nach dem Sinn

Unser Wohlbefinden hängt nach den Erkenntnissen der Positiven Psychologie von verschiedenen Faktoren ab. Gemäß der amerikanischen Psychologin Carol Ryff ist neben der Selbst-Akzeptanz, Autonomie, Selbstwirksamkeit, positiven Beziehungen sowie dem persönlichen Wachstum der Sinn im Leben von essenzieller Bedeutung für unsere Zufriedenheit. Wir Menschen benötigen ein „Warum“. Unserem Leben und Tun einen tieferen Sinn zu schenken, ist eine der größten Herausforderungen. Und gleichzeitig ist das Finden der Sinnhaftigkeit unseres Tuns eine der wichtigsten Fragen, die wir uns selbst stellen sollten.

Nach Viktor Frankl, dem Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse ist die Sinnfindung eine lebenserhaltende Notwendigkeit, auch in der Arbeit.

Dünger im Gehirn

Die Bedeutung der Sinnfrage kann neurologisch erklärt werden: Wenn für uns etwas sinnhaft und wichtig ist, dann strengen wir uns an, um es zu erreichen. Wenn wir uns so richtig für etwas begeistern können, wenn uns etwas „unter die Haut geht“, werden im Mittelhirn Nervenzellen angeregt. Gemäß dem Neurobiologen Gerald Hüther empfinden wir Menschen immer dann einen Zustand der Sinnhaftigkeit und des Glücks, wenn wir einen inkohärenten Zustand durch eigene Anstrengung in einen kohärenten Zustand verwandeln können. Unser Gehirn strebt diesen Zustand ständig an. Wenn es uns gelingt, den Zustand von Inkohärenz in Kohärenz zu verwandeln, wird Energie frei. Im Mittelhirn werden dann neuroplastische Botenstoffe wie Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin sowie Peptide wie Endomorphine und Enkephaline ausgeschüttet, die einen rauschähnlichen Zustand bewirken. Diese Hirnregionen werden auch Belohnungszentren genannt. Diese lösen auf die eine oder andere Weise in den nachgeschalteten Nervenzellen biochemische Prozesse aus. Mit der Zeit werden all jene neuronalen Netze verstärkt, die im Gehirn aktiviert worden sind. Damit kann genau das zustande gebracht werden, was uns am Herzen liegt. Dieser Effekt passiert nie im Routinebetrieb unseres Gehirns, wenn wir brav unsere Pendenzen abarbeiten, sondern nur im wunderbaren Zustand der Begeisterung. Nur wenn wir für etwas brennen, werden all jene Netzwerke ausgebaut und verbessert, welche wir im Zustand der Euphorie nutzen. Ein Kleinkind erlebt diesen Zustand mehrfach am Tag, während es neue Dinge ausprobiert. Jeder kleine Begeisterungssturm beim Ausprobieren führt dazu, dass in seinem Gehirn eine Art Gießkanne mit Dünger ausgeschüttet wird, der für alle Entwicklungsprozesse von neuronalen Netzwerken gebraucht wird.

Sinnhaftigkeit und Resilienz

Sinnhaftigkeit spielt in der Salutogenese und Resilienzforschung ebenfalls eine große Rolle. Denn ein wesentlicher Faktor für das eigene Wohlbefinden und die Gesundheit ist das Kohärenzgefühl. Ein Gefühl der Kohärenz entsteht aus dem Zusammenspiel der Verstehbarkeit, der Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit dessen, was wir erleben und tun. Nur wenn diese Faktoren gegeben sind, können wir Kohärenz und infolgedessen Wohlbefinden empfinden.  Sinnhaftigkeit hat zudem einen sehr großen psychohygienischen Wert. Sie gibt uns die ungeahnte Kraft und Möglichkeit, äußere und innere Schwierigkeiten zu meistern.

Bei meinen Coaching-Kundinnen und Kunden beobachte ich immer wieder, dass Erfolg, Geld oder Ansehen nur Krücken von begrenzter Kraft sind, welche die Sinnlosigkeit des eigenen Tuns auf längere Sicht nicht stützen können. Wir können zwar über eine gewisse Zeit einem gut bezahlten Job nachgehen, erfolgreich sein und ein großes Ansehen genießen. Sinn ist etwas so Tiefliegendes, dass er zum Problem wird, wenn er uns verloren gegangen ist. Die Folgen kennen wir nur allzu gut: wenn uns unsere Tätigkeit wenig sinnvoll erscheint und wir das Gefühl haben, nichts zu bewegen, wird uns dieser Job langfristig auszehren oder sogar krank machen.

Wenn Mitarbeitende keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen, müssen sie bewegt, manipuliert, „motiviert” oder gar gezwungen werden, damit sie ihr Soll erfüllen. Sinn in der Arbeit kommt vor allem dann abhanden, wenn Fähigkeiten, Talente oder Ideen trotz Mühe und Einsatz nicht verwirklicht werden können. Der Wille zum Sinn wird auch frustriert, wenn im sozialen Beziehungsgeflecht nicht das Gefühl der Annahme gespürt wird.

Die Frage nach dem „Why“

Der amerikanische Managementberater Simon Sinek bringt es mit seinem Leadership-Konzept „The Golden Circle“ auf den Punkt:


Im Golden Circle gibt es drei Kreise, denen jeweils eine Frage zugrunde liegt:

WHY (Warum)?
Warum tun wir etwas? Was ist die Motivation? Woran glaube ich bzw. glauben wir? Was ist der Zweck? Was ist der tiefere Sinn? Was treibt uns an?

HOW (Wie)?
Wie genau tun wir es? Welches konkrete Vorgehen ist für mich bzw. für uns typisch? Wie ist das strategische Vorgehen, welche Arbeitsweisen (Strukturen, Prozesse, Methoden) nutzen wir?

WHAT (Was)?
Was genau tun wir? Was ist das Ergebnis des Handelns? Das Ergebnis des Why? Was sind konkreten Aktionen und Handlungen oder Produkte und Services, die entstehen?

Gewöhnlich kommunizieren wir von außen nach innen: Wir sagen, was wir machen und wie wir es tun. Manchmal wissen wir warum, manchmal auch nicht.
Um Menschen zu inspirieren und zu überzeugen – auch sich selbst – ist der umgekehrte Weg der Richtige!

Sinn gibt Motivation zum Handeln

Bei der Führung von Mitarbeitenden ist es wichtig, ihnen das WHY klarzumachen, denn nur so werden sie sich emotional damit verbinden können. Aus der Attraktivität des WHY entsteht die Motivation, sich aktiv einzubringen und auch unangenehme Aufgaben anzunehmen.
Antworten auf das HOW geben Sicherheit und Orientierung. Hier ist es sinnvoll, Mitarbeitende möglichst einzubeziehen und ihre Ideen und Erfahrungen zu nutzen. Beim WHAT geht es darum, zu wissen, was ganz konkret zu tun ist. Hier hilft ein klarer Plan.

Mit der Beantwortung der Sinnfrage geben Sie sich selbst und Ihren Mitarbeitenden Orientierung für das tägliche Tun. Dabei sind die gemeinsamen Werte die Leit­linien, die sich im Unternehmensleitbild und den Führungsgrundsätzen finden. Als Führungskraft müssen Sie nicht nur wis­sen und vermitteln, wohin Ihr Unternehmen bzw. Ihr Team will, sondern auch, auf welchem Weg und nach welchen Spielregeln Sie gemeinsam dorthin gelangen wollen. Nur dann kön­nen Sie Ihren Mitarbeitern die nötige Orientierung vermitteln.

Sinn erfahren Ihre Mitarbeitenden auf der emotionalen Ebene durch die Wertigkeit und die Bedeutung ihres Tuns und der Sichtbarkeit ihres eigenen Beitrags zum Ganzen. Sie soll­ten Ihren Mitarbeitern diesen Beitrag zum Ganzen verdeutlichen und selbst Ihren Beitrag dazu leisten.

Lesen Sie mehr zum Thema „Sinn- und werteorientierte Führung“ in meinem neuen Buch „Menschlichkeit in der Führung“.