Psychologische Sicherheit – ein zentraler Faktor für einen starken Teamspirit und Team-Resilienz

Was unterscheidet normale Teams von Hochleistungsteams? Weshalb verfügen gewisse Teams über einen starken Teamspirit und Team-Resilienz? Warum entwickeln sich manche Teams weiter, während in anderen Stillstand herrscht?

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Psychologische Sicherheit ist einer der wichtigsten Faktoren für eine gesunde Weiterentwicklung und effektives Arbeiten in Teams. Amy Edmondson, Professorin für Leadership und Management an der Harvard Business School, hat die Bedeutung der Psychologischen Sicherheit erforscht und war eine der ersten, die sich mit dem Konzept beschäftigt hat. Sie fand in ihren umfassenden Studien heraus, dass sich die besten Teams durch eine ausgereifte Fehlerkultur auszeichnen. Ebenso kam die mehrere Jahre dauernde Studie von Google unter dem Namen „Projekt Aristoteles“ 2016 zur Erkenntnis, dass Hochleistungsteams fünf Schlüsseldynamiken zeigen: Klare Ziele, verlässliche Arbeitskolleginnen und -kollegen, die Überzeugung, dass die Arbeit sinnstiftend ist und eine Wirkung entfaltet, sowie Psychologische Sicherheit. Die Studie zeigte zudem auf, dass die Psychologische Sicherheit eine elementare Grundlage für die anderen vier Faktoren bildet, d. h. die Leistung, Kreativität und den Zusammenhalt in Teams fördert.

Psychologische Sicherheit ist mehr als Vertrauen

Psychologische Sicherheit ist sehr stark mit Vertrauen verbunden. Sie wird allgemein als eine Arbeitsatmosphäre bezeichnet, in der sich die Menschen ausdrücken und sie selbst sein können. Obwohl Psychologische Sicherheit und Vertrauen viel gemeinsam haben, sind es dennoch keine austauschbaren Konzepte: Vertrauen bezieht sich auf Interaktionen zwischen einzelnen Individuen. Psychologische Sicherheit hingegen wird auf der Ebene der Gruppe erfahren und beinhaltet die fundamentale Akzeptanz als Teammitglied: Jede und jeder im Team kann Fragen stellen, Fehler zugeben und seine oder ihre Meinung vertreten, ohne negative Konsequenzen zu befürchten. Offenheit und Fehler führen nicht zu Kritik, Abwertung oder Ausgrenzung. Das heißt jedoch nicht, dass nur Harmonie herrscht und keine Kritik geäußert wird. Es darf Spannungen geben, jedoch können diese mit einer hohen psychologischen Sicherheit offen und ehrlich angesprochen und so auch gelöst werden.
Psychologische Sicherheit löst die mentale Bremse, die uns sonst davon abhält, unser Bestes zu geben. Wenn wir uns sicher fühlen, werden wir offener, motivierter und resilienter. Studien zeigen, dass Psychologische Sicherheit in Teams die Risikobereitschaft, die freie Meinungsäußerung, Kreativität und Innovation ermöglicht und steigert. Zudem nehmen Humor, Lösungsorientierung sowie divergentes Denken zu.

Kein Unternehmen kann sich eine Angst- und Null-Fehler-Kultur leisten

Leider glauben einige Führungskräfte immer noch an die Macht von Angst und an eine Null-Fehler-Kultur. Sie nehmen bewusst oder unbewusst an, dass Mitarbeitende, die bei schlechter Leistung Angst vor den Konsequenzen haben, härter beziehungsweise besser arbeiten würden. Doch dies ist ein Trugschluss: Die Neurowissenschaften haben hinlänglich belegt, dass Angst das Lernen und die Zusammenarbeit erkennbar einschränkt. Angst führt zu einer Stressreaktion im Gehirn: Sie aktiviert die Amygdala, den Teil im Gehirn, der für das Erkennen von Gefahren zuständig ist. Sie haben bestimmt auch schon selbst erlebt, wie Ihr Herz bis in den Kopf gepocht hat, Sie Schweiß auf der Stirn hatten und nicht mehr klar denken konnten, weil Sie vor etwas Angst hatten. Durch die Aktivierung der Amygdala werden wertvolle Ressourcen sozusagen verpufft, weil dadurch das rationale Denken, die Kreativität und Problemlösung massiv eingeschränkt werden. Angst ist der größte Feind der Potenzialentfaltung und Innovation.
Es gibt einige Beispiele in der Praxis, die zeigen, wohin eine Angstkultur führen kann: Firmen wie Nokia haben den Wandel der Zeit verschlafen, weil der damalige CEO jeglichen Widerspruch der Mitarbeitenden unterdrückte und bestrafte. Mitarbeitende hielten als Konsequenz wichtige Informationen zurück, was das einst so erfolgreiche Technologieunternehmen schlussendlich in eine Sackgasse führte. Im Dieselskandal des Automobilkonzerns VW trat neben anderen Dingen zutage, dass der damalige Vorstandsvorsitzende die Mitarbeitenden einschüchterte und unangenehme Nachrichten nicht hören wollte. Dies führte mitunter dazu, dass die Mitarbeitenden lieber schwiegen, statt unangenehme Dinge anzusprechen, und wegschauten, statt Bedenken zu Abläufen und unethischem Verhalten im Unternehmen zu äußern.

Wie Sie als Führungskraft Psychologische Sicherheit schaffen können

Was bedeutet es für Sie als Führungskraft, eine „sichere“ Team-Kultur zu schaffen?
Eine wichtige Voraussetzung ist, dass im Team Klarheit über den Sinn und Zweck der Zusammenarbeit besteht und darüber, an welchen Zielen aktuell gearbeitet wird. Sind Richtung und Ziele klar, sind vor allem zwei Dinge sehr bedeutsam: Aufrichtigkeit und Wertschätzung. Aufrichtigkeit in dem Sinne, dass Mitarbeitende ihre Ideen genauso äußern wie Bedenken und Kritik. Wertschätzung in dem Sinne, dass der gegenseitige Respekt für alle an erster Stelle steht.
Basierend auf den Empfehlungen von Amy Edmondson und Paul Santagata, Head of Industry Google, empfiehlt sich insbesondere folgendes Verhalten, um Psychologische Sicherheit aufzubauen:

 

  • Schaffen Sie einen Bezugsrahmen und betonen Sie die Sinnausrichtung: Sprechen Sie im Team über Psychologische Sicherheit. Formulieren Sie die Erwartungen in Bezug auf Unsicherheit, Scheitern und wechselseitiger Abhängigkeit, um Ihren Mitarbeitenden die Notwendigkeit des Äußerns der eigenen, individuellen Meinung aufzuzeigen. Zeigen Sie nachvollziehbar auf, warum und für wen es wichtig ist, dass die Mitarbeitenden sich äußern, und was auf dem Spiel steht, wenn sie es unterlassen.
  • Entwickeln und leben Sie bewusst eine Fehlerkultur: Diese beginnt mit einer positiven inneren Haltung gegenüber Fehlern. Teams, die ihre Arbeit als Lernprozess begreifen, verarbeiten Rückschläge schneller und besser. Zudem macht eine positive Haltung gegenüber Fehlern das Zugeben von Unsicherheit und Missständen für alle einfacher. Denn in jedem Fehler steckt das Potenzial für Verbesserung.
  • Zeigen Sie Wertschätzung, Respekt und Demut: Sprechen Sie von Mensch zu Mensch; seien Sie sich auch in strittigen Diskussionen und Verhandlungen bewusst, dass Ihr Gegenüber genauso ein Mensch mit Bedürfnissen ist wie Sie auch. Geben Sie die eigenen Schwächen und Fehler zu. Holen Sie immer wieder Feedback zu Ihrem eigenen Führungsverhalten ein und reflektieren Sie dieses.
  • Fragen Sie proaktiv nach: Ersetzen Sie Vorwürfe und Schuldzuweisungen durch Neugierde. Wenn Sie andere beschuldigen und kritisieren, lösen Sie Widerstände und Demotivation aus. Beschreiben Sie hingegen das problematische Verhalten als neutrale Beobachtung und geben Sie Feedback. Wirken Sie als Vorbild für aktives Zuhören: Stellen Sie gute Fragen, statt Anweisungen zu geben. Fragen Sie nach Lösungen. So entwickeln Sie eine „Kultur des Fragens“ statt eine „Kultur des Sagens“.
  • Betonen Sie das Gemeinsame: Gehen Sie Konflikte konstruktiv an und sorgen Sie für eine Win-Win-Lösung, indem Sie folgende Frage stellen: „Wie können wir ein gemeinsam erstrebenswertes Resultat erzielen?“
  • Befreien Sie Scheitern vom Stigma – sanktionieren Sie jedoch klare Verstöße: Machen Sie keine Beschuldigungen und bieten Sie Hilfe an. Richten Sie den Blick nach vorne und suchen Sie gemeinsam nach möglichen Lösungen. Belegen Sie jedoch klare Verstöße mit Sanktionen.


Durch diese Verhaltensweisen ermöglichen Sie, dass die Bedeutung und die Erwartungen in Bezug auf die Psychologische Sicherheit für alle nachvollziehbar werden. Die Mitarbeitenden merken, dass die eigene Stimme willkommen ist und dass das kontinuierliche Lernen im Vordergrund steht.


Psychologische Sicherheit können Sie nicht auf die Schnelle in einem Kurs lernen und dann in Ihrem Team per Knopfdruck von heute auf morgen aktivieren. Es erfordert psychologisches Feingefühl, Zeit und Geduld, bis Ihre Mitarbeitenden so weit sind, den „Elefanten im Raum“ zu benennen. Psychologische Sicherheit erschließt sich am Ende weniger durch viele Worte als dadurch, wie Sie sich als Führungskraft verhalten, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.