Menschliche Führung – die essenzielle Kompetenz des 21. Jahrhunderts

Die meisten Führungskräfte bestreiten nicht, dass Menschlichkeit im Führungskontext immer wichtiger wird. Unternehmen sind durch und durch menschliche Systeme: Sie bringen Menschen zusammen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen und einen Auftrag für andere Menschen zu erfüllen. Solange Organisationen nicht ausschließlich mit Maschinen, Robotern und Computern funktionieren, haben wir es bei aller Digitalisierung immer noch mit Menschen aus Fleisch und Blut zu tun, die sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen haben und sehr individuell und teilweise unberechenbar auf Unsicherheit, Veränderungen und Druck reagieren.

Shutterstock.com | Andrew Angelov

Mit Blick auf die unternehmerische Praxis fehlt es in einigen Führungsetagen jedoch immer noch an einem umfassenden Verständnis menschlicher Führung im Führungsalltag.

Ein traditionelles Führungsverständnis greift heute nicht mehr

Die globalen Umfragen des Beratungsunternehmens Egon Zehnder unter rund 1 000 CEOs und Führungskräften der weltweit größten Unternehmen (www.egonzehnder.com/it-starts-with-the-ceo) legen immer wieder offen, dass die menschlichen Aspekte zu den größten Herausforderungen in der Führungsarbeit zählen. Einige Führungskräfte schaffen es nicht, einen echten menschlichen Kontakt zu ihren Mitarbeitenden aufzubauen, bisweilen entwerten einige von ihnen Menschlichkeit als „Kuschelpolitik“ oder als „Programm für Weicheier“, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen. Doch ein traditionelles Führungsverständnis und altgediente Führungsinstrumente greifen heute nicht mehr. Rigide Vorgaben, unnötige Kontrolle und Misstrauen sind in einer modernen, menschlichen Arbeitswelt nicht mehr dienlich. Führungskräfte sind gefordert, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Mitarbeitenden die Möglichkeit haben, sich selbst zu steuern und täglich zu lernen.

Menschliche Führung umfasst mehr als ein modernes Organisationsverständis

Es reicht jedoch nicht aus, sich allein auf ein modernes Organisationsverständnis, agilere Strukturen und Prozesse zu verlassen. Organisationen zu führen, bedeutet „Systeme führen“, sei es auf der Ebene von Teams, Abteilungen, Bereichen, Projekt- oder auch auf Gesamtunternehmensebene. Organisationen menschlich zu führen, setzt als erstes voraus, dass sie nicht als funktionierende Maschinen, sondern als lebendige, anpassungsfähige Organismen betrachtet werden. Führung bedeutet, das System im Spannungsfeld des kontinuierlichen Wandels zu gestalten und weiterzuentwickeln und dabei die notwendige Balance zwischen Stabilität und Flexibilität zu schaffen. Dafür braucht es eine tiefgreifende Veränderung hin zu einer Unternehmenskultur, die auf Vertrauen und Empowerment basiert. Erfolgreiche und menschliche Organisationen schaffen einen sinn- und werteorientierten Rahmen, in dem die Mitarbeitenden ihre Arbeit und ihr Handeln als sinnvoll und erfüllend erleben. Echtes Leadership kann nur dort stattfindet, wo Vision, Werte und Identität nachhaltig und nah an den Menschen verhandelt, vermittelt und gelebt werden.

Die Führungskompetenz der Zukunft umfasst neben der fachlichen Expertise deshalb insbesondere Selbstkompetenz: persönliche Integrität, Empathie, ethische Standfestigkeit, Konsequenz und Kontinuität.

Goodbye Hero – der Blick hinter die eigene Fassade

Unsere Bilder von erfolgreichen Führungskräften sind heute jedoch noch stark geprägt von Heldengeschichten. Medien und Gesellschaft haben im Verlauf der Jahre dieses Bild von Stärke und Unversehrtheit bedient: Emotionen und Schwächen zeigen, Fehler machen und Verlieren sei etwas für Feiglinge!  

Oftmals ertappen wir uns selbst dabei, dass sich dieses Bild vom „tough guy“ in unseren Köpfen eingebrannt hat.

Wer menschlich führen und auch menschlich behandelt werden möchte, muss jedoch bereit sein, seinen Panzer abzulegen, Persönlichkeit zu zeigen und auch mal Fehler zu machen. Oder zumindest, hinter die eigene Fassade zu blicken.

 

Menschliche Führung setzt Selbstkompetenz voraus

Als ersten wesentlichen Schritt empfehle ich Führungskräften, folgender Tatsache ins Auge zu blicken: Sie beeinflussen durch das eigene Verhalten tagtäglich andere Menschen. Wer sich dessen bewusst ist, wird erkennen, welche Verantwortung mit der Führungsrolle und dem eigenen Verhalten einhergeht. Das eigene Führungsverhalten hat großen Einfluss auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden – sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privatleben. Eine Führungsperson sollte deshalb zuerst sich selbst – also den innersten Kern als Mensch und Führungskraft – ergründen, reflektieren und weiterentwickeln. Wer lernt, sich selbst besser zu verstehen, kann auch andere Menschen besser verstehen. Selbstreflexion ist das Fundament und der Schlüssel für eine erfolgreiche und menschliche Führung. Mit der Entwicklung der Selbstkompetenz zu beginnen, ist ein sehr nachhaltiger Schritt in Richtung menschlicher Führung.

Lesen Sie mehr zum Thema menschliche Führung in meinem neuen Buch „Menschlichkeit in der Führung“.