Emotionale Führungskompetenz – Erfolgsfaktor der Zukunft

Im Management haben sich in den letzten Jahren moderne Organisationskonzepte sowie Methoden wie agiles Vorgehen, Design Thinking, Business Model Canvas, etc. entwickelt. Dies sind wertvolle und hilfreiche Modelle und Werkzeuge. Meiner Ansicht nach reicht es jedoch nicht aus, sich allein auf ein modernes Organisationsverständnis, agilere Strukturen und Prozesse zu verlassen, um in Zukunft erfolgreich zu sein.
Leadership ist gefragt, welches die Auseinandersetzung mit der Identität und Kultur höher priorisiert als Strategie, Strukturen, Methoden und Kennzahlen. Es braucht einen zutiefst empathischen und emotionalen Zugang zu Führung, welcher einen Beziehungsrahmen und gleichzeitig eine tiefgreifende Veränderung hin zu einer menschlichen Unternehmenskultur schafft.

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Emotionale, schöpferische Führungskräfte, Visionär:innen und Träumer:innen sind gefragt!

Gemäß Zukunftsforscher Franz Kühmayer manifestieren Manager:innen und Executives wie CEOs, CIOs, CFOs, etc. die dröge Routine der Verwaltung: sie administrieren und kontrollieren Aufgaben, welche in Zukunft durch Maschinen übernommen werden können. Woran es mangelt, sind Visionär:innen, Kulturschaffende, Träumer:innen, Philosoph:innen – neugierige, lernwillige, schöpferische Menschen, humanistisch gebildet, mit einem festen Wertebild und einer Bewusstheit für ihre eigene Emotionalität.

Steve Ballmer wurde als CEO von Microsoft insbesondere durch seine emotionale Abschiedsrede im Jahr 2013 berühmt, als er Tränen vergießend vor Tausenden von Mitarbeitenden auf der Bühne stand und „I love you“ in die Massen schrie. Die einen waren fasziniert, die anderen etwas verstört ob dieser geballten Emotionalität.

Aus der Positiven Psychologie ist bekannt, dass positive Emotionen ansteckend wirken und Energie geben. Trotzdem tun wir uns gerade in europäischen Breitengraden immer noch sehr schwer mit Emotionen. Rasch gelangen wir zu dem Urteil, dass Emotionalität unprofessionell ist oder gar einen manipulativen Charakter hat. Ob Ballmer bei seiner Abschiedsrede effektiv so bewegt war oder ob er als geschickter Redner seine Mitarbeitenden durch eine hollywoodreife Show instrumentalisiert hat, können wir nicht überprüfen. Doch allein die Tatsache, dass es uns unnatürlich oder gar verdächtig erscheint, wenn ein Manager das Wort „Liebe“ in den Mund nimmt und vor laufenden Kameras weint, sagt viel über unseren Umgang mit Emotionen aus.

Die Verhaltensökonomie hat im Marketing die Bedeutung der Gefühle auf Kaufentscheidungen längst erkannt. In der Führung hingegen wird Professionalität nach wie vor gleichgesetzt mit Zurückhaltung. Emotionen haben im Arbeitsleben kaum oder nur sehr selektiv Platz. Es hat sich in unserer Arbeitswelt eine Art emotionales Ideal entwickelt, welches man als „Maske der Coolness“ beschreiben kann. Wir zeigen uns emotional distanziert oder gar emotional abgebrüht im Umgang mit uns selbst und anderen, obwohl wir vielleicht innerlich brodeln vor Freude oder auch vor Ärger.

Emotionen helfen uns, mit Komplexität umzugehen und Innovationen zu schaffen

In unseren Breitengraden herrscht immer noch das Primat des Verstandes. Wenn wir nach Lösungen suchen, aktivieren wir unser Denken und wir erschließen uns unsere Welt vor allem durch analytisches Denken: Wir nutzen analytische Methoden und Instrumente, um Talente zu typisieren, bewerten Mitarbeitende im Rahmen der Jahresendgespräche numerisch oder nach Kategorien A bis D und teilen Kund:innen fein säuberlich in Zielgruppen ein. Analytik und Messbarkeit sind uns vertraut. Wir haben verlernt, im Arbeitsleben die Kraft von Emotionen einzusetzen.

Dabei dienen Emotionen uns Menschen seit Urgedenken als wertvolle Signale zur Welterschließung. Wie die Forschung zeigt, gehen unsere vielfältigen Gefühle auf eine kleine Zahl von lebenswichtigen Grundemotionen zurück: Liebe, Freude, Lust, Interesse und Neugier, Angst, Panik, Wut, Zorn sowie Trauer. Gefühle wie Liebe und Freude schaffen Nähe und stärken unsere Abwehrkräfte. Angst mahnt uns zur Vorsicht oder Vermeidung. Emotionale Zustände sind wertvolle und lebenswichtige Botschaften an uns selbst. Sie helfen, uns im Leben zurechtzufinden. Eine emotionale Reaktion ist auch immer eine körperliche Reaktion. Leider herrscht heute fortwährend noch die Überzeugung vor, wir könnten unsere Gefühle abtrennen von dem, was wir denken und sagen. Denken, Fühlen und Handeln sind jedoch neurologisch gesehen untrennbar miteinander verbunden. Wenn wir unsere emotionalen Botschaften unterdrücken, führt dies dazu, dass wir unsere eigentlichen Bedürfnisse überhören und vernachlässigen. So verlieren wir den Kontakt zu unseren Emotionen und damit zu uns selbst. Wir „funktionieren“ nur noch.

Wenn wir unsere Emotionen ausbremsen, werden unsere Wahrnehmung und unser Denkvermögen eingeschränkt. Als Konsequenz werden neuartige Ideen und Innovationen zugunsten altbekannter Vorgehensweisen zurückgestellt. Statt uns zu öffnen, ziehen wir uns zurück, grenzen uns ab und verkrusten schlimmstenfalls.

Emotionen helfen uns, mit der Komplexität unserer Welt umzugehen und handlungsfähig zu bleiben. Dank unserer Emotionen können wir wahrgenommene Veränderungen um uns herum beurteilen, indem uns das Gehirn blitzschnelle Bewertungen liefert, und so unmittelbare Reaktionen ermöglicht. Emotionen helfen uns, Orientierung in der komplexen Welt zu finden und Entscheidungen anzustoßen.

Entwickeln Sie Ihre emotionale Führungskompetenz

Eine menschliche Führungskultur steht und fällt mit Ihrer emotionalen Kompetenz als Führungskraft. In der heutigen komplexen Welt ist Ihre Rolle längst nicht mehr die der rationalen Entscheiderin, die die Richtung angibt. Heute sind Sie als empathische Persönlichkeit gefordert. Sie müssen ein Gespür für die emotionale Verfassung Ihrer Mitarbeitenden haben, positive Arbeitsbeziehungen gestalten, ein Wir-Gefühl fördern sowie die Identität und den Zusammenhalt stärken. Da spielen die Emotionen der Mitarbeitenden immer mit. Führung – insbesondere menschliche Führung – erfordert heute mehr denn je soziale, insbesondere emotionale Kompetenzen.

Wenn Sie es als Führungskraft schaffen, bei sich und Ihren Mitarbeitenden positive Emotionen zu wecken und das Level der Positivität zu erhöhen, erlangt das Gehirn einen „Glücksvorteil“ und arbeitet viel produktiver. Dies führt zu wesentlich besseren Leistungen als ein negativer oder gestresster Zustand. Ebenso erhöht sich das Potenzial für Kreativität und Intelligenz sowie der allgemeine Energielevel. Durch das Wecken positiver Emotionen können Sie für sich und Ihre Mitarbeitenden ein enormes Glücks- und Leistungspotenzial entfalten. Emotionen sind dabei nicht als Werkzeuge zu verstehen, die es manipulativ zu bedienen gilt.

Ebenso sind Emotionen wichtig in Veränderungsvorhaben von Teams und ganzen Organisationen. Für Sie als Führungskraft ist es wichtig, die Emotionen Ihrer Mitarbeitenden wahrzunehmen und zu lesen, sinnvoll damit zu umzugehen und sie als Veränderungstreiber wie auch -verhinderer zu verstehen. Sie sollten es jedoch unterlassen, negative Emotionen Ihrer Mitarbeitenden als gemeinhin schlecht einzustufen oder zu unterdrücken. Natürlich macht es viel mehr Freude und Spaß, mit Mitarbeitenden zusammen zu arbeiten, die motiviert sind und Begeisterung zeigen. Doch negative Reaktionen haben auch ihre positiven Seiten: Wenn Ihre Mitarbeitenden offen negative Emotionen zeigen und äußern, ist dies ein Vertrauensbeweis und ein Zeichen dafür, dass noch Herzblut vorhanden ist. Ihre Mitarbeitenden haben offenbar ein Interesse daran, auf wahrgenommene Fehleinschätzungen oder Missstände aufmerksam zu machen. Dies ist insbesondere in Veränderungsphasen sehr wichtig: Wenn Sie als Führungskraft Ihren Mitarbeitenden Gehör schenken, ihre Kritik sowie Zweifel und Ängste aufnehmen, spüren Ihre Mitarbeitenden, dass Sie sie ernst nehmen. Dies schafft psychologische Sicherheit und kann im optimalen Fall dazu führen, dass die konstruktiv-kritischen Mitarbeitenden zu Unterstützer:innen Ihres Vorhabens werden oder sogar bereit sind, bei der Lösungssuche aktiv mitzuwirken. Blockieren oder unterdrücken Sie hingegen negative Emotionen Ihrer Mitarbeitenden, besteht die Gefahr, dass diese Emotionen in den Untergrund versinken und sich dort als fatale korrosive Energien ausbreiten.

Das Kollektiv wird an Bedeutung gewinnen und Emotionen bieten einen großen Resonanzraum für neue, soziale Interaktionen.

Franz Kühmayer bringt in seinem Artikel „Herzblut – die Rolle von Emotionen in Leadership“ die Bedeutung von Emotionen als sogenanntes „Herzblut“ sehr treffend auf den Punkt:

„Wer sich nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen auf andere einlässt, kann kooperativ führen. Herzblut hebt Führungsarbeit aus der Rationalität auf die Ebene der Sinnlichkeit.“ Franz Kühmayer, Zukunftsinstitut

Der ernsthafte Zugang zu Empathie jenseits der Instrumentalisierung ist der notwendige Antrieb, Potenziale in sich selbst und in anderen zu entdecken und zu entfalten. Emotionale Führung ist kein Luxusthema für ein paar wenige charismatische Persönlichkeiten. Dass wir Führungsarbeit über den engen betriebswirtschaftlichen Kontext hinaus zu einem umfassend humanistischen Prinzip ausdehnen, sollte für jene, die sich tatsächlich als Leader begreifen, zu einer Selbstverständlichkeit werden. Nur Meisterinnen und Meister des Beziehungs-managements werden mit ihren Teams langfristig erfolgreich sein.

Lesen Sie mehr zum Thema „Emotionale Führungskompetenz“ in meinem neuen Buch „Menschlichkeit in der Führung“.