Heute verführen Facebook, Instagram, LinkedIn & Co. sowie Apps wie Photoshop dazu, das Berufs- und Privatleben aufregender darzustellen, als es in Tat und Wahrheit ist. Die Grenze zwischen Selbstmarketing und -darstellung verschwimmt. Es ist zunehmend schwerer zu unterscheiden, was Fassade und was echt ist. Und doch ist Authentizität heute für viele Menschen ein Lebensideal und gilt allgemein als erstrebenswert.
Doch so begehrt die Authentizität auch ist, ebenso viele Fragen ranken sich um sie: Was genau ist Authentizität? Wie wird man authentisch? Und, ist wahre Authentizität überhaupt realistisch, angesichts der unterschiedlichen Rollen, welche wir innehaben, und der Erwartungen, welche wir erfüllen müssen oder wollen? Sei es im Beruf, in der Partnerschaft, innerhalb der Familie oder der Freizeit.
So mysteriös die Authentizität auch scheint, so spielt sie insbesondere in der Kommunikation oder auch beim Führen von Menschen eine wichtige Rolle – und das nicht erst seit gestern. Ihre Geschichte ist lang: Bereits in der antiken Philosophie, bei Aristoteles, Platon oder auch Sokrates wurde sie genannt oder beschrieben. Der Drang zu Selbsterkenntnis gehörte gewissermaßen schon immer zum Menschsein.
Um die Frage nach der Definition der Authentizität an sich und als menschliches Verhaltensmerkmal zu klären, geben die zwei Sozialpsychologen Michael Kernis und Briand Goldman hilfreiche Antworten. Sie haben basierend auf ihren Studien vier Kriterien erarbeitet, die authentische Menschen ausmachen.
- Bewusstsein
Das Wissen um die persönlichen Bedürfnisse, Werte, Gefühle sowie auch unsere Stärken und Schwächen. Die Voraussetzung hierfür ist Selbstwahrnehmung und -reflexion. Erst durch die bewusste Reflexion ist das eigene Verhalten erkenn- und beeinflussbar. Es lohnt sich daher, für sich selbst herauszufinden, was uns als Menschen ausmacht.
- Ehrlichkeit
Ehrlich sein bedeutet, den Tatsachen ins Gesicht zu schauen, sich selbst gegenüber aufrichtig zu sein und auch die eigenen Makel anzuerkennen. Es hilft auch, Feedback von anderen einzuholen und zu akzeptieren. Auch wenn es schwerfällt, weil es vielleicht negative Rückmeldungen sind.
- Konsequenz
Nach den eigenen Bedürfnissen, Werten und Gefühlen handeln, auch für den Fall, dass man sich dadurch gegebenenfalls Nachteile einhandelt. Wer dagegen immer nur sein Fähnchen in den Wind hält, wirkt verlogen und opportunistisch. Denken, Fühlen, Sprechen und Handeln eines authentischen Menschen sollten kongruent sein.
- Aufrichtigkeit
Ehrlich sein gegenüber anderen. Sein wahres Selbst, mit seinen positiven, wie negativen Seiten, in sozialen Beziehungen offen zeigen und nicht verleugnen.
Madeleine Zbinden sagt zum Streben nach Authentizität: „Authentizität ist ein Selbstkonstrukt. Das heißt, der Moment des Empfindens von Authentizität beginnt bei uns selbst. Unsere Persönlichkeit ist kein zementierter Zustand, sondern wir optimieren im Verlauf unseres Lebens dieses Selbstkonstrukt immer wieder und entwickeln uns so weiter.“
Wichtig ist, dass das Streben nach Authentizität nicht zum Selbstzweck wird, um ein schädliches Fehlverhalten zu rechtfertigen. Denn ein narzisstischer, egoistischer Mensch bleibt ein unangenehmer Zeitgenosse, ob authentisch oder nicht.
Deshalb sind auch Tugenden wie eine konstruktive Haltung, diplomatisches Geschick und Taktgefühl wichtig. Sonst ist die Gefahr groß, naiv redselig oder verletzend offen zu werden.
Madeleine Zbinden weiß auch: „Mit der Authentizität verhält es sich, wie mit dem Glück. Je mehr man versucht, sie an sich zu reißen, desto mehr entzieht sie sich uns. Sie lässt sich auch nicht mit ein paar Führungs- oder Persönlichkeitstrainings auf die Schnelle aneignen. Sie ist das Ergebnis jahrelanger persönlicher Entwicklung.“