Autonomie ist eine Voraussetzung für Kreativität und Innovation – und den Erfolg von morgen!

Die Rufe nach Autonomie werden im lauter. Der rasante Wandel verlangt nach Mitarbeitenden, die proaktiv anpacken und Verantwortung übernehmen. Die New Work- und Agilitäts-Bewegung heizen das Thema noch weiter an. Doch wie sieht es in der Realität aus? Der jährliche Engagement Index von Gallup zeichnet ein düsteres Bild: In den letzten Jahren haben ungefähr 70 Prozent der Arbeitnehmenden ein geringes (Dienst nach Vorschrift), 15 Prozent ein hohes und 15 Prozent kein Commitment (innerliche Kündigung) zu ihrem Unternehmen.

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Offensichtlich gibt es eine Konfliktlinie zwischen den Erwartungen des Managements und dem Verhalten der Mitarbeitenden, welche bei näherer Betrachtung oftmals in der Priorisierung von Macht (Befehl, Anweisung, strikte Vorgaben) statt Autonomie begründet ist.

Autonomie als Grundbedürfnis

Gemäss der Selbstbestimmungstheorie der beiden amerikanischen Psychologen Ryan und Deci stellt die Autonomie neben Kompetenz und sozialer Eingebundenheit ein wichtiges psychologisches Grundbedürfnis dar und beeinflusst die intrinsische Motivation. Unser Bedürfnis nach Autonomie besteht darin, selbstbestimmt und in Einklang mit unseren eigenen Werten entscheiden und handeln zu können. Autonomie wird dabei durch die Möglichkeit, frei zu entscheiden und frei wählen zu können, unterstützt. Sie manifestiert sich als empfundene Kontrolle über das eigene Umfeld sowie das Gefühl, über einen wahrnehmbaren Entscheidungsspieraum zu verfügen. Autonomie bedeutet, dass wir in einer spezifischen Situation das Gefühl haben, eine Wahl zwischen mehreren Optionen zu haben. Das Gegenteil von Autonomie ist Fremdbestimmung.

Neurologisch gesehen führt die Erhöhung der Autonomie zu einer Belohnungsreaktion im Gehirn. Eine Reduktion der Autonomie kann eine Bedrohungsreaktion im Gehirn auslösen, in der Praxis zum Beispiel hervorgerufen durch strenge und rigide Vorgaben durch die Führungskraft. Der damit verbundene Kontrollverlust kann zu Handlungsunfähigkeit oder zu einem Gefühl von eigenem Unvermögen führen. Erlebt ein Mensch keine Autonomie, so ist Hilflosigkeit die Folge, im Extremfall mit psychischen Konsequenzen. Der bekannte Psychologe Martin Seligman hat die Theorie der „erlernten Hilflosigkeit“ entwickelt und erforscht. Sie gilt bis heute als eine der wichtigsten Theorien zur Entstehung von Depressionen.

Die beiden amerikanischen Arbeits- und Organisationpsychologen Mulé und Cockburn untersuchten in einer repräsentativen Studie, wie die Kontrolle am Arbeitsplatz beziehungsweise der Grad an Autonomie einen Einfluss darauf haben, wie sich Arbeitsstressoren wie zum Beispiel Arbeitsbelastung oder Zeitdruck auf die psychische und körperliche Gesundheit auswirken. Sie haben herausgefunden, dass die Arbeitsstressoren eher zu Depressionen oder gar zum Tod von Mitarbeitenden führen, wenn es sich um Tätigkeiten mit einem tiefen Autonomiegrad handelt. Die Wissenschaftler nehmen dabei an, dass dieser Effekt darauf zurückgeführt werden kann, dass Autonomie und die damit geforderten kognitiven Fähigkeiten als Ressourcen wirken, um mit Arbeitsstressoren wie Druck und Arbeitsbelastung besser umzugehen. Autonomie ermöglicht es den Mitarbeitenden, Aufgaben eigenständig zu priorisieren und einzuteilen. Das Mass an Autonomie beeinflusst die Fähigkeit, Stresssituationen bewältigen zu können. Reduzierte Autonomie und hoher Stress können uns entscheidungsunfähig machen oder sogar lähmen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die wahrgenommene Reduktion der Autonomie – wie eingangs bereits erwähnt – eine Bedrohungsreaktion in unserem Kopf auslöst.

Grenzen der Autonomie im Arbeitskontext

Bedeutet das, dass jede und jeder machen soll und darf, was sie oder er will? Natürlich nicht.

Das Bedürfnis nach Autonomie ist nicht zu verwechseln mit Egoismus oder Dominanz. Autonomie ist zwar ein Recht auf Selbstbestimmung ohne Herrschaft, sich selbst „Gesetze“ für sein Handeln geben zu können. Autonomie kann jedoch in menschlichen Gemeinschaften (Familien, Unternehmen, Teams, etc.) nie bedingungslos sein. Autonomie funktioniert nicht ohne die Anerkenntnis, dass die eigenen Gesetze stets mit Blick auf die Gemeinschaft und den Verpflichtungen, denen diese Gemeinschaft unterliegt, zu formulieren und auszufüllen sind. Kompromisse und Wechselbeziehungen gehören dazu. Die Herausforderung und gleichsam kritische Frage dabei ist, wie viele dieser einschränkenden Bedingungen vorhanden sein dürfen, um die Autonomie nicht zu untergraben.

Genau betrachtet schränken wir im organisationalen Kontext unsere Autonomie mit der Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages freiwillig ein. Der Arbeitsvertrag ist jedoch ein rein formaler, rechtlicher Vertrag, der nur Leitplanken festlegt, die eine ungefähre Verortung der Tätigkeit erkennen lassen. Für den Erfolg Wesentliches wie Engagement, Loyalität und Verantwortungsbewusstsein werden nicht explizit vereinbart. Entsprechend interessanter ist der sogenannte „psychologische Vertrag“, das heisst, die auf Gegenseitigkeit beruhenden, ungeschriebenen Erwartungen bezüglich Verhaltensweisen, Rechten und Pflichten der Mitarbeitenden gegenüber der Organisation, wie auch der Führungskräfte gegenüber den Mitarbeitenden. Diese ergeben sich aus Gewohnheit und vor allem objektiven oder subjektiv wahrgenommenen Versprechen.

Und hier ist der springende Punkt – da verläuft offenbar die potenzielle Konfliktlinie: der Grad an empfundener Autonomie ist also im günstigen Falle ein gemeinsam geteilter psychologischer Vertrag. Aus Führungsperspektive spiegelt sich dieser vor allem durch den wahrnehmbaren Führungsstil wider. Dieser umfasst einerseits die Bereitschaft, Macht zu teilen und damit Verhaltens- sowie Entscheidungsautonomie zu gewähren. Dieser zeigt sich auch in der Art und Weise sowie Qualität der Beziehungsgestaltung. Aus der Perspektive der Mitarbeitenden spiegelt sich der psychologische Vertrag vor allem darin wider, selbstbestimmt arbeiten und die Autonomie konstruktiv ausfüllen zu können.

Autonomie als Zeichen des Vertrauens und Voraussetzung für Innovation

Autonomie ist eng verknüpft mit Vertrauen. Wenn Sie als Führungskraft Ihren Mitarbeitenden Freiraum zusprechen, bedeutet dies, dass Sie ihnen vertrauen. Vertrauen wird von vielen Menschen als Wertschätzung wahrgenommen. Zudem fördert Autonomie die Fähigkeit der Mitarbeitenden, selbstbestimmt über ihre Grenzen hinauszuwachsen. Sie schaffen so für Ihre Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich aus der Komfortzone in die Lernzone zu bewegen.

Neue Ideen entstehen nicht durch strikte Vorgaben, sondern durch ganzheitliches, mehrperspektivisches und vernetztes Denken – idealerweise im Verbund mit anderen. Gemeinsames Wirken wirkt inspirierend. Autonomie fördert die Ko-Kreation, Kreativität und Innovation, da die Mitarbeitenden angesichts des erhöhten Autonomiegrades selbstbestimmt individuell und gemeinsam unterschiedliche Vorgehensweisen wählen und ausprobieren.

Es lohnt sich, wenn Sie folgende Verhaltensweisen als Führungskraft beherzigen:

  • Verzichten Sie auf unnötige Kontrolle und Mikromanagement.
  • Gewähren Sie Handlungsspielräume, damit Ihre Mitarbeitenden eigene Ideen und Lösungen erarbeiten können.
  • Zeigen Sie mögliche Optionen auf.
  • Schaffen Sie Möglichkeiten der individuellen, flexiblen Arbeitszeit- und Arbeits-platzgestaltung.
  • Geben Sie Freiraum in Bezug auf Priorisierung von Aufgaben.

Ratschläge sind wie Schläge – Coaching hingegen fördert die Autonomie

Kennen Sie den Satz „Ratschläge sind wie Schläge“? Sie blockieren mit Ratschlägen, engen Vorgaben und unnötigem Zeitdruck bei Ihren Mitarbeitenden das Gefühl von Autonomie. Wir Menschen benötigen einen gewissen Spielraum für Entscheidungen. Deshalb sollten Sie als Führungskraft darauf achten, dass Sie Ihren Mitarbeitenden für das Erreichen von Zielen beziehungsweise bei der Erledigung von Arbeitsaufträgen immer eine Wahl zur Lösung der Aufgabe lassen und nicht Ratschläge mit Ihrem Lösungsweg als den einzig richtigen vorgeben.

Überlegen Sie, ob Sie eine Aufforderung als Befehl oder als Bitte formulieren möchten. Zur Vermeidung einer Bedrohungsreaktion bei Ihren Mitarbeitenden kann es bereits genügen, einen Arbeitsauftrag anders zu formulieren: Statt „Du musst bis heute Abend folgende Aufgabe erledigen!“ können Sie die Aufforderung anders formulieren: „Hast du die Möglichkeit, diese Aufgabe zu übernehmen und bis heute Abend zu erledigen?“. Diese Art der Formulierung berücksichtigt das Bedürfnis nach Autonomie und gibt den Mitarbeitenden das Gefühl von Freiraum, entsprechend auf Ihre Bitte zu reagieren.

Im Coaching  wird durch offene, entwickelnde Fragen dem Gegenüber ermöglicht, die Erkenntnis beziehungsweise die Lösung im eigenen Kopf entstehen zu lassen. Entscheidend für das Autonomieempfinden für den Coachee ist, dass Sie Ihr Gegenüber als jemanden ansprechen, der gerne selbst entscheidet. Folgende Fragen können Sie im Coachinggespräch unterstützen:

  • Was haben Sie bisher unternommen?
  • Was muss passieren, damit die Situation besser wird?
  • Wie sieht Ihre Idee für eine Lösung aus?
  • Was werden Sie tun?
  • Wann werden Sie es tun?
  • Auf welche Hindernisse könnten Sie stossen?
  • Woran würden Sie merken, dass die Massnahme erfolgreich war?
  • Wer muss es wissen? Wer und/oder was könnte Sie bei Ihrem Vorhaben unterstützen?
  • Welche anderen Überlegungen haben Sie?

Wenn Sie als Führungskraft Ihren Mitarbeitenden Autonomie einräumen, führt das zu mehr Arbeitszufriedenheit, Engagement und einem höheren Commitment als „Command and Control“. Probieren Sie es aus – es lohnt sich!